14. August 2012
Stellungnahme des BVStB zu Fehlwirkungen der Neuregelung der Selbstanzeige bei der Umsatzsteuer

Herrn MD Michael Sell
Bundesministerium der Finanzen
Leiter der Abteilung IV
Wilhelmstrasse 97
10117 Berlin

 

Fehlwirkungen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen

 

Sehr geehrter Herr Sell,

durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, welches am 3. Mai 2011 in Kraft getreten ist, sind die Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige erheblich verschärft worden. Diese Änderungen entfalten unbeabsichtigte Folgewirkungen insbesondere im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen, weil auch in diesem Bereich strafbefreiende Teilselbstanzeigen nicht mehr möglich sind.

Nach § 371 Abs. 1 n.F. tritt die strafbefreiende Wirkung nur dann ein, wenn gegenüber den Finanzbehörden für alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachgeholt werden (sog. Spartenlebensbeichte). Hinsichtlich des zu berichtigenden Zeitraumes ist auf die strafrechtliche Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 StGB, § 376 Abs. 1 AO abzustellen. Alle zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige begangenen nicht verjährten Steuerhinterziehungen der betroffenen Steuerart müssen vollumfänglich offenbart werden.

Eine zusätzliche Verschärfung der Problematik ist durch die Änderung der Nr. 132 AStBV 2012 eingetreten: Nunmehr müssen die Finanzämter der BuStra auch verspätet abgegebene Umsatzsteuervoranmeldungen zuleiten. Bislang war dies bei verspätet abgegebenen Steueranmeldungen nicht erforderlich. Hier konnte die Veranlagungsstelle des Finanzamtes von einer Vorlage an die BuStra absehen (Nr. 132 Abs. 1 S. 4 AStBV 2011), da der Steueranmeldung strafbefreiende Wirkung zukam und ein Straf-/Bußgeldverfahren obsolet wurde. Mit der Neufassung von § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz wurden jedoch die Voraussetzungen für die strafbefreiende Selbstanzeige u. a. dahingehend verschärft, dass ab einem verkürzten Steuerbetrag von EUR 50.000 die strafbefreiende Wirkung nicht mehr eintritt (es kann allenfalls gem. § 398a AO von der Strafverfolgung abgesehen werden) bzw. strafbefreiende Teilselbstanzeigen nicht mehr möglich sind. Das BMF sah sich daher gezwungen, die Verwaltungsanweisungen an die geänderte Gesetzeslage anzupassen und diesen Satz 4 zu streichen.

Selbstverständlich ist auch der Bundesverband der Steuerberater e.V. der Ansicht, dass steuerehrliches Verhalten für ein auf Selbstdeklaration beruhendes Steuerecht in einer Bürgergesellschaft unverzichtbar ist. Die Einbeziehung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen statt nur der Jahreserklärung führt aber unseres Erachtens zu einem Übermaß an Formalien. Oftmals führen rein praktische Gründe (z.B. Übergabe der Buchhaltung erst nach Jahresende an den Steuerberater) zu dem Problem; bei Dauerfristverlängerungsfällen entsteht durch die in § 18 Abs. 6 UStG i.V.m. §§ 44 ff UStDV geregelte Sondervorauszahlung nicht einmal ein Liquiditätsvorteil.

Aus dem Gebot der vollumfänglichen Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ergeben sich u.E. Probleme im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen, die durch die folgenden Beispiele verdeutlicht werden sollen.

 

Beispiel 1: verspätete UStVA als konkludente Selbstanzeige

U gibt seine UStVA 7/2011 am 11.8.2011 statt am 10.8.2011 ab.

Lösung: Da U die Voranmeldung nicht rechtzeitig am 10. Tag des Folgemonats eingereicht hat, liegt – eine Nachzahlung unter Anwendung des sog. Kompensationsverbotes (siehe unten) unterstellt – objektiv eine Steuerhinterziehung vor. Von Ausnahmefällen abgesehen (z.B. unverschuldet überlange Postlaufzeit bzw. Probleme bei der Datenverbindung, Unfall des Mandanten bzw. des StB am Abgabetag) wird i.d.R. auch der subjektive Tatbestand (Vorsatz) gegeben sein bzw. durch das FA im Massenverfahren unterstellt werden. Diese Selbstanzeige nach § 371 AO für 6/2011 ist nur dann wirksam, wenn U damit zum Zeitpunkt der Abgabe sämtliche strafrechtlich noch nicht verjährten Umsatzsteuerhinterziehungen nacherklärt.

In der Unternehmenspraxis kommt es häufig z.B. auf Grund von Arbeitsüberlastung oder schlichtem Übersehen des Anmeldetermins zu einer kurzfristigen Überschreitung der Fälligkeitszeitpunkte. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist und die Finanzbehörden unter Beachtung des Legalitätsprinzips allein schon um die fristgerechte Nachzahlung zu überwachen ein Strafverfahren einzuleiten haben.

Die Abwicklung solcher Fälle im Strafverfahren würde zu einem zusätzlichen Aufwand für die Finanzverwaltung und Justiz führen, die vermehrt Bagatellfälle betrifft. Ferner kommt erschwerend die Belastung des Unternehmers durch den Druck des Steuerstrafverfahrens hinzu.

 

Beispiel 2: undolose Teilselbstanzeige

Wie Beispiel 1. Später stellt das FA fest, dass U in der verspäteten Voranmeldung (Selbstanzeige) ohne Verschulden einige Umsätze nicht erfasst hatte.

Lösung: § 371 AO differenziert nicht zwischen absichtlich (dolos) und unabsichtlich (undolos) unvollständigen Selbstanzeigen. Subjektive Elemente waren auch bislang der Selbstanzeige fremd. Danach ist die Selbstanzeige des U (die auch um einen Tag verspätete Voranmeldung) nach dem Wortlaut des Gesetzes unwirksam.

 

Beispiel 3: Selbstanzeige nach Selbstanzeige

Wie Beispiel 1. Wenige Tage nach Einreichung der Voranmeldung stellt nicht das FA, sondern U selbst fest, dass er in der Voranmeldung – also in der Selbstanzeige – einige Umsätze nicht erfasst hatte. Er schickt daher sofort eine korrigierte UStVA ans FA.

Lösung: Durch die Abgabe der korrigierten Voranmeldung wird dem FA bekannt, dass die erste (verspätete) Voranmeldung, die eine Selbstanzeige nach § 371 AO darstellt, nicht vollständig war.

Nach der Verwaltungsauffassung im FinMin NRW werden beide Selbstanzeigen jeweils isoliert für sich betrachtet und sind aufgrund ihrer Unvollständigkeit jeweils unwirksam. Die Verwaltung unterstellt hierbei mit einer gekünstelten Begründung, dass auch die zweite Selbstanzeige (die 2. UStVA) unvollständig ist. Diese offenbare nur für die über die erste Selbstanzeige hinausgehenden Teile tatsächlich neue, bisher unbekannte Steuerquellen (so FinMin. NW v. 25.6.2010 – S 0702 – 9 – V A 1 unter Punkt B.3, der insoweit vermutlich weiter gilt). U würde dann – ungeachtet dessen, dass er die Taten selbst freiwillig aufgedeckt hat – im Beispiel für die gesamte Steuerhinterziehung bestraft und könnte lediglich auf Milde bei der Straf­zumessung hoffen. Der Steuerpflichtige hätte also für alle unverjährten Steuerhinterziehungen einer Steuerart bildlich gesprochen „nur einen einzigen Schuss“.

Selbst wenn man – abweichend von der Auffassung der Verwaltung – im Beispiel 3 davon ausgeht, dass die Selbstanzeigen (teilweise) wirksam sind, wäre die Tat des U durch die erste (unvollständige) Selbstanzeige aufgedeckt und damit i.S.d. des Sperrgrundes des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entdeckt worden. Nach dem materiell-rechtlichen Tatbegriff des BGH (BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219) wird die Tat durch die Steuerart, den Besteuerungszeitraum und den Steuerpflichtigen definiert. Vorliegend ist die Tat mithin die (gesamte) UStVA 6/2011 des U und diese Tat ist entdeckt. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO stellt nach dem Wortlaut nunmehr lediglich darauf ab, dass „eine der Steuerstraftaten“ entdeckt ist, sog. Infektions- oder Virustheorie. Hiernach führt die Entdeckung dieser Tat zur Sperrwirkung für alle bis zur Selbstanzeige begangenen Umsatzsteuerdelikte (vgl. FinMin. NW v. 5.5.2011 – S 0702-8-V A 1)

 

Beispiel 4: Umsatzsteuerjahreserklärung noch nicht abgegeben

U gibt die laufende UStVA 1/2012 verspätet ab; sie enthält wie in der Vergangenheit keine Ergebnisse aus den jährlichen Abschlussbuchungen. Für das Vorjahr 11 hat er die entsprechende Jahreserklärung noch nicht eingereicht. Im Rahmen der Jahreserklärung berücksichtigte Abschlussbuchungen führen zu geringen Nachzahlungen.

Lösung: Durch die Abgabe der Jahreserklärung (2. Selbstanzeige) wird dem FA bekannt, dass die verspätete Voranmeldung des U (1. Selbstanzeige) nicht alle umsatzsteuerlich unverjährten Sachverhalte enthielt (Abschlussbuchungen 2011) und daher keine Spartenlebensbeichte war. Beide Selbstanzeigen sind unwirksam. Siehe Lösung Beispiel 3.

 

Beispiel 5: Kompensationsverbot

U meldet in seiner fristgemäß eingereichten UStVA 6/2011 eine geschätzte USt auf Umsätze i.H.v. 500.000 € (Brutto-USt) und eine geschätzte Vorsteuer i.H.v. ebenfalls 500.000 €, woraus sich eine Zahllast von 0 € ergibt. Hintergrund der Schätzung war der Umstand, dass es U wegen allgemeiner Arbeitsüberlastung nicht rechtzeitig gelungen ist, die Buchhaltung zu aktualisieren, um die tatsächlichen Beträge zu ermitteln. Tatsächlich beträgt die Brutto-USt 400.000 € und auch die Vorsteuer 400.000 €, woraus sich ebenfalls eine Zahllast von 0 € ergibt, was U dem FA in einer korrigierten UStVA mitteilt.

Lösung: Grundsätzlich wird zur Ermittlung des Hinterziehungsvolumens die sog. Ist-Festsetzung mit der gesetzlich geschuldeten Steuer (sog. Soll-Festsetzung) verglichen. Wenn man im Beispiel die Zahllast aus der Schätzung (0 €) mit der Zahllast aus der korrigierten Voranmeldung, die ebenfalls 0 € beträgt, vergleicht, so würde man annehmen, dass kein Hinterziehungstatbestand mit der Abgabe der geschätzten und fristgemäß eingereichten Voranmeldung erfüllt ist. Die Besonderheit liegt bei der USt jedoch darin, dass eine Steuerhinterziehung vorliegen kann, wenn entweder die USt zu niedrig und/oder die Vorsteuer zu hoch angesetzt wird. Es gilt insofern das sog. Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO, sodass eine zu niedrig erklärte Vorsteuer nicht eine zu niedrig erklärte USt ausgleichen kann (vgl. BGH v. 2.11.1995 – 5 StR 414/95, wistra 1996, 106; BGH v. 24.10.1990 –3 StR 16/90, wistra 1991, 107). Es kann zu einer Steuerhinterziehung ohne Steuerverkürzung kommen. Für Zwecke des Steuerstrafrechts wird die Errechnung der Zahllast gewissermaßen als eine Art Verrechnung von zwei verschiedenen Steuerarten (USt einerseits und VorSt andererseits) angesehen. Da U im Beispiel 6 Vorsteuer i.H.v. 500.000 € statt 400.000 € und damit 100.000 € zu viel erklärt hat, liegt in dieser Höhe – bei hier unterstelltem Vorsatz – eine Steuerhinterziehung vor. Die korrigierte Voranmeldung stellt mithin eine Selbstanzeige nach § 371 AO dar. Vollständigkeitsgebot: Problematisch in diesem Zusammenhang ist wieder einmal das Vollständigkeitsgebot. U muss zusammen mit der korrigierten Voranmeldung, die rechtlich als Selbstanzeige zu qualifizieren ist – wie bereits ausgeführt – alle zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige strafrechtlich unverjährten Umsatzsteuerhinterziehungen korrigieren. Anderenfalls liegt eine unwirksame Teilselbstanzeige vor. Muss die Vor­anmeldung – wie in der Praxis bei größeren Unternehmen üblich – aus irgendwelchen Gründen nochmals korrigiert werden, besteht die Gefahr, dass verfolgungsgeneigte Beamte des FA eine Steuerhinterziehung unterstellen und die Selbstanzeige als unwirksam angesehen wird.

 

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele ist

  • eine rechtssichere Entschärfung der Problematiken im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen nur durch eine Änderung des § 371 AO möglich, indem Steueranmeldungen aus dem „Berichtigungsverbund“ des § 371 AO herausgelöst werden und auch lediglich die Sperrgründe für bußgeldbefreiende Selbstanzeigen nach § 378 Abs. 3 AO Anwendung finden. Dies könnte durch die Einfügung eines Satzes 2 in § 371 AO mit folgendem Wortlaut geschehen:

    „Für Steueranmeldungen ist abweichend von Satz 1 und Abs. 2 AO die Vorschrift des § 378 Abs. 3 AO entsprechend anzuwenden.“

  • Kurzfristig ist die – bereits diskutierte - Ergänzung der Nr. 132 um folgenden Abs. 2 dringend geboten:
    (2) Bei den Massenverfahren der Umsatz- und Lohnsteuer sind berichtigte und verspätet abgegebene Steuer(vor)anmeldungen nur in begründeten Einzelfällen an die BuStra weiterzuleiten. Kurzfristige Terminüberschreitungen und geringfügige Abweichungen sind unschädlich. Die Geringfügigkeit bemisst sich nach der prozentualen Abweichung von der zutreffenden Vorsteuer bzw. Brutto-USt. Für die Beurteilung der Geringfügigkeit findet die Rechtsprechung des BGH zur Bagatellgrenze analog Anwendung, so dass eine Abweichung in Höhe von 5% von der zutreffenden Vorsteuer oder von der zutreffenden Brutto-USt (5%-Schwelle, vgl. BGH v. 25.07.2011, Az.: 1 StR 631/10)“

    Durch diese Anwendung der 5%-Grenze würde auch dem Interesse der Verwaltung an einer Verwaltungsökonomie Rechnung getragen, weil sich die Straf- und Bußgeldsachenstelle auch an dieser Rechtsprechung orientieren müsste.

 

Wir bitten Sie daher, sich für entsprechende Regelungen einzusetzen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Prof. Dr. Jochen Lüdicke

(Der Präsident)